Am 1. April 2013 entschied der oberste Gerichtshof in Neu-Delhi als letzte Instanz, dass der Hauptwirkstoff des Medikaments „Glivec“ des Schweizer Pharmakonzerns Novartis in Indien nicht patentierbar sei. Der oberste Gerichtshof ist der Auffassung, dass bei dem an sich bekannten Wirkstoff des Medikaments lediglich eine unbedeutende Änderung vorgenommen worden ist, die keine erhöhte therapeutische Wirksamkeit begründet.
Im vorliegenden Fall war der Wirkstoff selbst bereits länger bekannt und auch in anderen Ländern patentiert. Novartis hat den Wirkstoff aber erst nach jahrelanger Forschung in eine verabreichungsfähige Form bzw. Struktur bringen können. Genau auf diese Struktur und das entsprechende Herstellungsverfahren war die indische Patentanmeldung von Novartis gerichtet. Mit dem obigen Urteil des obersten Gerichtshofs wurde jedoch der angestrebte Schutz verweigert.
Mit diesem Vorgehen versucht Indien angeblich das sogenannte „Evergreening“ bei Pharmapatenten zu verhindern. Beim „Evergreening“ streben Firmen eine Verlängerung des Patentschutzes für einen Wirkstoff aufgrund kleiner angeblich unbedeutender Modifikationen dieses Wirkstoffs an. Auf diese Weise sollen Konkurrenten auf Abstand gehalten werden.
Erst mit Beitritt von Indien zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2005 hat Indien ein Patentgesetz erlassen. Das Patentgesetz wurde 2006 um den Passus erweitert, dass unbedeutende Änderungen an einem existierenden Wirkstoff vom Patentschutz ausgenommen sind, wenn diese nur das Ziel verfolgen, den Schutz zu verlängern. Seinen praktischen Niederschlag findet dies darin, dass der Nachweis für eine „erhöhte therapeutische Wirksamkeit“ geführt werden muss.
Im Hinblick auf den Passus der „erhöhten therapeutischen Wirksamkeit“ existieren allerdings keine Angaben, was darunter zu verstehen ist bzw. welche Werte nachgewiesen werden müssen. Es handelt sich also um eine auslegungsbedürftige Formulierung, die sich erst über den beschwerlichen Weg der Rechtsprechung ihre Bedeutung erarbeiten muss. Eine Analogie hierzu findet sich im europäischen oder deutschen Patentgesetz nicht. In Europa wird die Patentierbarkeit anhand von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit ausgehend von einem technischen Effekt beurteilt.
Neben Novartis kämpfen auch andere Branchengrößen um ihren Patentschutz in Indien. Beispielsweise hat der Bayer-Konzern das Patent für sein Krebsmedikament „Nexavar“ erst unter Auflage einer Zwangslizenz an einen indischen Generikahersteller erteilt bekommen. Dem Roche-Konzern wurde bereits im November der Patentschutz für sein Hepatitis-C-Mittel „Pegasys“ verweigert und auch das Unternehmen Gilead Sciences kämpft um den Patentschutz für sein Medikament „Viread“ zur Behandlung von HIV-Infektionen.
Obige Historie hinterlässt den Eindruck, dass neben der therapeutischen Wirksamkeit auch die wirtschaftliche Zugänglichkeit der Medikamente für die breite Masse entscheidungsrelevant zu sein scheint. Aktuell bleibt aber noch abzuwarten, ob sich die vom obersten Gerichtshof eingeschlagene Richtung in weiteren Urteilen bestätigt. Erst dann kann eine zuverlässige Planung für Pharmapatente in Indien erfolgen.
10. April 2013; N. Winthuis (PA); Dr. V. Heyer (PA)
Quellen: Handelsblatt v. 2. und 3. April 2013; Zeit Online v. 1. April 2013; New York Times v. 6. März 2012